Freiheit >von<
Michael Seibel • Materialität und Praxis (Last Update: 13.03.2019)
Wer von negativer Freiheit als von einem Freisein >von< etwas spricht, (frei zu sein von Hunger, frei zu sein von Gefangenschaft oder Verfolgung, frei zu sein von Schändung, frei zu sein von Zweifeln, Sorgen oder Schuld), hat die Beziehung des Willens zu demjenigen näher zu klären, wovon ihn die negative Freiheit befreit. Geistesgeschichtlich hat es ganz unterschiedliche Auffassungen darüber gegeben, wer eigentlich das Subjekt ist, das auf das Attribut frei Anspruch macht, das einzelne Individuum in seinem Dasein, der Einzelne als Mitglied einer Gemeinschaft, nur Menschen, die eine bestimmte Stelle der Hierarchie einnehmen, die Freien im Unterschied zu den Unfreien, nur das Kollektiv, die Polis oder der Staat oder wie bei Hegel der Geist oder religiös Gott. Egal wie das Subjekt von Freiheit jeweils näher bestimmt ist, besteht der Ausdruck 'Freiheit von … ' auf einer Differenz, die es herzustellen gilt und der Ausdruck 'Freiheit zu …' auf einer Identität, die es gegen eine vorausgesetzte Differenz zu erreichen gilt.
Sehen wir uns einige unterschiedliche Fälle an. Ein Hungernder wird sich wünschen, vom Hungergefühl befreit zu sein, der Gefangene wird sein Gefängnis verlassen wollen. Der Sorgenvolle wird sich Lösungen für das wünschen, worüber er sich sorgt, der Schuldige wird Vergebung wollen. Es wird jeweils darum gehen, bestimmte Differenzen, die zunächst einmal keinerlei gemeinsamen Nenner haben, aufzuheben.
In der Philosophie stellt Hegel eine Lösung vor, bei der es dem Subjekt der Freiheitsforderung, also jeweils demjenigen, um dessen Freiheit es geht, gelingt, aus sich heraus die unfrei machende Differenz aufzuheben, um letztlich zum Inbegriff eines absolut freien Subjekts zu kommen, dem absoluten Geist. Der absolute Geist ist der Inbegriff eines Subjekts, das absolut frei geworden ist. Das funktioniert nur deshalb, weil Hegel Idealist ist. D.h. in seinem Fall, Hegel geht davon aus, dass das Subjekt, dass jeweils frei sein will, die Ressourcen dazu in sich selbst findet, wenn es nur die Momente von Unfreiheit, mit denen es sich jeweils konfrontiert sieht, als Teil seiner eigenen Bewegung betrachtet, seinen Horizont permanent erweitert und sich selbst überschreitet. Hegel beschreibt eine gelingende Gedankenbewegung. Am Ende, in der Identität von Identität und Unterschied, gibt es nur noch die Freiheit. Unfreiheit gibt es nurmehr als Erinnerung an das wovon und wozu. Erinnert sei an die letzten Worte der Phänomenologie des Geistes:
„Das Ziel, das absolute Wissen, oder der sich als Geist wissende Geist hat zu seinem Wege die Erinnerung der Geister, wie sie an ihnen selbst sind und die Organisation ihres Reiches vollbringen. Ihre Aufbewahrung nach der Seite ihres freien in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins ist die Geschichte, nach der Seite ihrer begriffnen Organisation aber die Wissenschaft des erscheinenden Wissens; beide zusammen, die begriffne Geschichte, bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes, die Wirklichkeit, Wahrheit und Gewißheit seines Throns, ohne den er das leblose Einsame wäre; nur - aus dem Kelche dieses Geisterreiches schäumt ihm seine Unendlichkeit.“
Das ist doch mal ein Text!
Aber wie steht es mit dem Freiesten der Freien, mit Gott? In gewisser Weise kann Gott nicht frei sein, einfach deshalb, weil der Gottesbegriff ein Subjekt denkt, dass von vorn herein kein Freiheitsproblem hat. Es war Schelling, der daran gearbeitet hat, Gott als verlorenen Sohn der Freiheit zurückzugewinnen.
Schelling argumentiert an zentraler Stelle in Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit:
„Da aber doch nichts außer Gott seyn kann, so ist dieser Widerspruch nur dadurch aufzulösen, daß die Dinge ihren Grund in dem haben, was in Gott selbst nicht Er Selbst ist, d.h. in dem, was Grund seiner Existenz ist. Wollen wir uns dieses Wesen menschlich näher bringen, so können wir sagen: es sey die Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich selbst zu gebären. Sie ist nicht das Eine selbst, aber doch mit ihm gleich ewig. Sie will Gott, d.h. die unergründliche Einheit, gebären, aber insofern ist in ihr selbst noch nicht die Einheit. Sie ist daher für sich betrachtet auch Wille; aber Wille, in dem kein Verstand ist, und darum auch nicht selbständiger und vollkommener Wille, indem der Verstand eigentlich der Wille in dem Willen ist. Dennoch ist sie ein Willen des Verstandes, nämlich Sehnsucht und Begierde desselben; nicht ein bewußter, sondern ein ahndender Wille, dessen Ahndung der Verstand ist. Wir reden von dem Wesen der Sehnsucht an und für sich betrachtet, das wohl ins Auge gefaßt werden muß, ob es gleich längst durch das Höhere, das sich aus ihm erhoben, verdrängt ist, und obgleich wir es nicht sinnlich, sondern nur mit dem Geiste und den Gedanken erfassen können. Nach der ewigen That der Selbstoffenbarung ist nämlich in der Welt, wie wir sie jetzt erblicken, alles Regel, Ordnung und Form; aber immer liegt noch im Grunde das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrechen, und nirgends scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden. Dieses ist an den Dingen die unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen läßt, sondern ewig im Grunde bleibt.“
Schellings Lösung ist offensichtlich nicht nur idealistisch, sie wirkt auch zutiefst mystisch. Aber in einer ganz bestimmten Hinsicht ist sie sehr modern: Das, was zugleich „Regel, Ordnung und Form“ ist und dennoch „die unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen läßt“, dieses Spannungsverhältnis würden wir heute nicht mehr in einem Gottesbegriff zu denken versuchen, sondern an einer uns heute wesentlich vertrauteren Stelle: es bestimmt nichts anderes als unseren heutigen Begriff der Materie.
Materialität
Ob Marie Curie nun wusste, wie gesundheitsschädlich radioaktive Strahlen sind, oder nicht, sie starb 1934 an einer „aplastischen perniziösen Anämie“, ausgelöst durch ihren langjährigen Umgang mit radioaktiven Elementen. Die Materie hat genau die Eigenschaften, die sie nun einmal hat, unabhängig davon, was die Menschen davon wissen und was nicht. Insofern ist die Materialität etwas, das dem Menschen geschieht. Aber damit allein lässt sich die Materie nicht eindeutig kennzeichnen, denn das selbe gilt zumindest im religiösen Denken auch von Gott. Gott ist das, was er ist und wirkt, was er wirkt, ebenfalls unabhängig davon, ob Menschen das wissen wie die Gläubigen oder nicht wissen wie die Ungläubigen. Wirkungen ausgesetzt zu sein, gilt also für beide Verhältnisse des Menschen, Gott gegenüber wie die Religionen ihn sehen und der Materie gegenüber. Die Materie ist wie Gott, mit dem einen Unterschied, dass der Mond auch dann da ist, wenn man nicht hinschaut und Gott selbst dann nicht da ist, wenn man hinschaut. Der Grundgedanke ist aber der selbe: dass da etwas ist, dass dem Menschen schlechterdings geschieht, dass es eine grundlegende Differenz gibt, die sich anders als bei Hegel ihrer Auflösung in die Identität von Identität und Nicht-Identität widersetzt. Die Materie bleibt bei noch so ausgefeilter empirischer Forschung, bei noch so beeindruckend viel entdeckter Ordnung der nie im Verstand aufgehende Rest. Dieser Bedeutungsanteil im Materiebegriff ist geistesgeschichtlich uralt, sonst würde er ihn nicht mit dem Gottesbegriff teilen, und man würde ihn nicht als grundlegende Differenz in der 'Freiheit von … ' wiederfinden. Wir machen uns im allgemeinen nicht klar, das die Begriffe Gott und Materie sozusagen geistesgeschichtliche Geschwister sind, weil sie, um bei dem Vergleich zu bleiben, ein gedankliches Gen miteinander teilen, die Betroffenheit. Das ist das Spezifische an den Gitterstäben, die den Gefangenen umgeben, dass sie dem Gefangenen geschehen, so wie Gott dem Gläubigen geschieht, die Stäbe, weil sie offenbar materiell sind, Gott, weil er sich dem Gläubigen offenbart hat. Der Mensch als freies und als betroffenes Wesen, das etwas nicht wegdenken kann, es sei denn …
Über den Versuch, die Stäbe seiner Gefangenschaft wegzudenken oder sich zumindest in ein grundlegend anderes Verhältnis zu dem zu stellen, was dem Menschen geschieht, haben wir oben bereits gesprochen. Der Stoizismus war solch ein Versuch, und es war nicht der einzige. Der heute mit Abstand erfolgreichste ist die Technik.
Halten wir nochmals die beiden von Schelling herausgearbeiteten Momente fest, jedoch nicht wie Schelling als Charakteristika des Selbstverhältnisses Gottes, sondern als Charakteristika des Verhältnisses des Menschen zur Materie: Materie als „Regel, Ordnung und Form“ und Materie als „unergreifliche Basis der Realität, der nie aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen läßt“. Diese Charakteristik greift natürlich nur durch ein entsprechendes Entgegenkommen des Subjekts. Kein Roboter würde seinerseits ein entsprechendes Spannungsverhältnis aufbauen. Das gleiche gilt für alle anderen Primaten als den Menschen, obwohl sie unbestritten ausnahmslos leidensfähig sind. Frage also: Was muss der Mensch als denkendes Wesen sein, damit er als materielles Wesen das Problem haben kann, 'frei von …' etwas sein zu wollen?
J.-P. Sartre war in seiner Spätphilosophie der Meinung, dass damit eine materialistische Erkenntnistheorie erforderlich wird, die uns folgende Frage beantworten müsste:
„Wie kann die Praxis in sich selbst gleichzeitig eine Erfahrung der Notwendigkeit und der Freiheit sein?“1
Sartre spricht von einem Praktisch-Inerten. Als inert bezeichnen Chemiker reaktionsträge Materialien. Glas ist ein inertes Verpackungsmaterial, weil es kaum Wechselwirkungen zwischen Inhalt und Verpackung zulässt. Das in Glas eingeschlossene kann sozusagen machen was es will, das Glas passiert ihm sozusagen einfach, es gibt ihm seine äußere Form. Es kann seinerseits am Glas nichts ändern.
J.-P. Sartre hat den Begriff des Inerten aufgegriffen, um ihn zum Verständnis eines Phänomens zu nutzen, mit dem jeder ständig zu tun hat: Wir leben in einer von anderen strukturierten materiellen Welt, umgeben von materiellen Objekten, denen andere ihre Form aufgeprägt haben. Das ist eine Selbstverständlichkeit und auf den ersten Blick unproblematisch. Man benutzt sie zu eigenen Zwecken oder man lässt es. Aber ist das wirklich so eindeutig? Verfälscht das nicht unsere eigenen praktischen Ziele? Zwingt das unsere Praxis nicht immer wieder in eine ungewollte Richtung? Was hat die Materie an sich, dass wir in unserer freien Praxis gleichzeitig die Erfahrung der Notwendigkeit machen? „Die menschliche Geschichte nämlich, als Orientierung auf die Zukunft und aufbewahrende Totalisierung der Vergangenheit, bestimmt sich auch in der Gegenwart dadurch, daß den Menschen etwas geschieht.“2 Materie gibt den Totalisierungen der Menschen eine „erlittene Einheit“3
Die Frage nach dem Praktisch-Inerten hat bei Sartre eine Rahmenhandlung, die ich durchaus verzichtbar, Sartre allerdings entscheidend findet und ohne die er nach dem Praktisch-Inerten möglicherweise gar nicht gefragt hätte. Sartre stellt in der Kritik der dialektischen Vernunft im Prinzip nur eine einzige Behauptung auf: Eine materialistische Erkenntnistheorie ist möglich. Jedes Verstehen, zu dem ein Mensch gelangen kann, ist totalisierend, folgt einer dialektischen Logik, besteht als nie endende geistige Anstrengung, aus unzusammenhängendem Gewusel etwas Ganzes zu machen, aus namenlosem Staub eine Welt notwendiger Beziehungen und aus dem Menschengewimmel eine Geschichte. Wenn das zutrifft, bedarf es eines totalisierenden Prinzips. Auf dies Prinzip stößt der Mensch Sartre zufolge immer da, wo er sich selbst als materielles Wesen beschreibt. Das macht Sartre in elementarster Form im einseitigen Verhältnis des Organismus zum Anorganischen namhaft. Das soziale und materielle Wesen Mensch ist von Anfang an und bleibt durch sein ganzes Leben hindurch Bedürfniswesen. „Alles erklärt sich aus dem Bedürfnis.“4 Es gibt also immer schon ein Feld, auf dem jeder Versuch, etwas verbindlich zu verstehen, in letzter Instanz auch ein Überlebensversuch ist. Dieses Feld fasst Sartre mit dem Begriff Praxis. Als theoretischer Ausgangspunkt ersetzt der Begriff Praxis beim späten Sartre dem Begriff der Existenz.
Der Organismus bedarf also zu seiner Selbsterhaltung des Stoffwechsels mit seiner Umwelt, die Umwelt umgekehrt nicht. Organismen sind materielle Entitäten, Steine ebenfalls. Aber die Materialität des Organismus besteht unmittelbar in seinem permanenten Austausch mit seiner Umwelt. Die Materialität des Organismus bezeichnet also nicht nur ein Sein, sondern einen basalen Lebensprozess. Man braucht den Organismus nur als das zu beschreiben und hat damit einen Kern von Rationalität. Das behauptet Sartre als elementaren Bezugspunkt der Intelligibilität der menschlichen Praxis. Alles, was der Mensch an Verstehen hinbekommt, sowie sein gesamtes soziales und diskursives Handeln, ist auf diese Grundspannung, auf das Bedürfnis zu beziehen. Ich möchte nicht verhehlen, dass mich Sartres Metaphysik nicht überzeugt. Meines Erachtens kasiert Sartre seinen Materiebegriff sofort wieder, indem er wie ein Hegelianer argumentiert. Er macht ausgerechnet das, was den Begriff der Materie von dem der Idee unterscheidet, den „im Verstand nie aufgehenden Rest“, das schlechterdings Unverstehbare, zum Prinzip von Verstehbarkeit. Was Schelling mit Gott macht, macht Sartre mit dem Mensch-Materie-Verhältnis. Er beginnt mit einer Selbstverständlichkeit, dem Organismus als Spannungsverhältnis, leitet daraus das Bedürfnis als Prinzip ab und prätendiert, dass sich damit ein Verständnis der historischen Wirklichkeit erreichen lässt. Das Inkommensurable daran, dass sich nämlich Organismen bereits in leicht veränderten Umwelten völlig unterschiedlich entwickeln, führt dazu, dass sich das Bedürfnis (welches?) nicht mehr als Prinzip des Verstehens der historischen Zukunft ausweisen lässt. Seine Metaphysik gebiert schlicht eine Ideologie. Das Prinzip Bedürfnis hat nicht nur keinerlei prognostischen Wert, es ist nicht nur blind, es ist möglicherweise auch falsch, es ist nicht einmal klar, ob man nicht besser ein ganz anderes Prinzip angesetzt hätte, die Phantasie, das Spiel, den Übermut...
Dennoch macht dieser Einwand die Frage Sartres nicht obsolet, sondern nur Sartres Antwort. Treten wir also einen Schritt von Sartres Absicht zurück, eine Kritik der dialektischen Vernunft, eine materialistische Erkenntnistheorie der Geschichte zu liefern. Sartres Frage bleibt auch dann interessant: „Wie kann die Praxis in sich selbst gleichzeitig eine Erfahrung der Notwendigkeit und der Freiheit sein?“ Selbst wenn man Sartre nicht folgt, hindert uns das nicht anzuerkennen, dass das Betroffensein durch die bearbeitete Materie, sozusagen das Gewicht der Welt, direkte Auswirkungen auf die Geltung einer jeglichen Argumentation hat. Es ist nicht egal, ob man sich über ein Verbot von Plastiktüten in einer Welt Gedanken macht, in der die Meere mehr Plastikreste als Fische enthalten, oder in einer Welt des noch ganz unschuldigen Konsums. Und es ist klar, dass die Wirkung der immer schon kultivierten Materie (denn selbstverständlich sind die Tüten im Meer gleichzeitig ein Kulturprodukt und eine Sauerei) auf das Denken nicht allein den bio-physischen Eigenschaften der Materie, ihrer Giftigkeit zuzuschreiben ist sondern auch den Bedeutungen von Bequemlichkeit, Produktschutz und Frische, die jede Tüte mittransportiert. Außerdem wirkt die Materie auf das Denken nicht erst, wenn Menschen über die Wirkungen der Materie auf ihr Denken nachdenken. So reflektiert z.B. kaum jemand ständig seine Konsumgewohnheiten.
Ein Beleg dafür, der sich heute aufdrängt, ist der Individualverkehr mitt dem Auto und die Gegenfinalitäten und Zwänge, in die ganze Volkswirtschaften dadurch geraten sind. Kein Mensch hätte in den ersten Jahrzehnten nach der Erfindung des Autos vorhergesehen, dass die individuelle Mobilität das Gesicht der Erde in dem Ausmaß verändern würde, in dem das faktisch geschehen ist. Die Auto- Idee der Väter drängt sich der Kindergeneration nicht nur dadurch auf, dass Autohersteller der Kindergeneration neue schicke Autos bauen, dass Autobesitz generationenlang Prestige bedeutet, dass vielerorts kaum ein anderer morgendlicher Weg zur Arbeit führt als der mit dem Auto, sondern auch schlicht dadurch, dass eine Idee zu Asphalt geworden ist. Die Bodenfläche Deutschlands5 belief sich 2017 auf 357.582 km². Davon sind 18.046 km² (5,0%) mit Verkehrsflächen zubetoniert und asphaltiert. Wer in Deutschland vom Individualverkehr via Auto weg will, weil er den Individualverkehr in dieser Form für eine besonders schlechte Idee hält, bekommt es mit einem echten Problem zu tun. Es reicht nicht, einfach nur gut zu argumentieren und die anderen Menschen nach und nach intellektuell zu überzeugen und sie dazu zu bewegen, andere Statussymbole als ausgerechnet Autos zu suchen, wenn sie sich voneinander unterscheiden wollen. Die Idee schlägt jedem sozusagen aus der Materie heraus entgegen. Da sind all diese Autobahnen und Parkplätze. Die Idee des Autoverkehrs hat die ganze Massivität und Glaubwürdigkeit des Faktischen auf ihrer Seite. Sie funktioniert, mit welchen Nebenwirkungen auch immer. Wenn man die Augen öffnet, ist der Autoverkehr so wirklich wie die Schwerkraft. Das Wirkliche daran ist nicht einfach nur das Auto als geformte Materie, sondern die zur Materie gewordene Idee des Autos. Alternative Ideen haben es deshalb schwer. Zunächst kosten sie immer zu viel und wiegen zu wenig.
Ein anschauliches Beispiel dafür, das ebenfalls nicht von Sartre stammt, betrifft den Hang der Menschen in den westlichen Industrieländern, sich als Individuen zu verstehen:
„Als Bürger eines westlichen Landes sind wir heute beispielsweise überzeugte Individualisten. Wir glauben, dass jeder von uns einmalig ist und dass unser Wert nicht davon abhängt, was andere von uns denken. (...)
Ein modernes Wohnhaus ist in viele kleine Zimmer aufgeteilt, damit jedes Kind seinen eigenen Raum bekommt, in dem es seine Unabhängigkeit ausleben kann. Dieses Zimmer hat eine Tür, und in vielen Familien ist es gängige Praxis, dass die Kinder ihre Tür schließen und vielleicht sogar abschließen. Selbst die Eltern dürfen nicht eintreten, ohne vorher anzuklopfen. Das Zimmer wird ganz nach den Vorstellungen des Kindes dekoriert, angefangen bei den Postern von Popstars an den Wänden bis zu den schmutzigen Socken auf dem Fußboden. Wer in einem solchen Raum aufwächst, kommt gar nicht umhin, sich als »Individuum« zu begreifen, das sich allein durch seine inneren Werte auszeichnet.
Die Adeligen des Mittelalters hätten dagegen mit dem Begriff Individualismus nichts anfangen können. Ihr Wert hing von ihrer Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung und von ihrem Ansehen in der Gesellschaft ab. Ausgelacht zu werden galt als tödliche Beleidigung. Adelige brachten ihren Kindern bei, ihren guten Namen zu verteidigen, auch wenn sie dabei ihr Leben aufs Spiel setzten. Wie der moderne Individualismus verließ das mittelalterliche Wertesystem die Köpfe der Menschen und nahm in den mittelalterlichen Burgen Gestalt an. Diese Burgen hatten keine privaten Zimmer, weder für Kinder noch für sonst jemanden. Ein junger Baron hatte kein eigenes Kinderzimmer im zweiten Stock mit Prinz Löwenherz- und König Artus-Postern an den Wänden und einer verschlossenen Tür, die auch Papi und Mami nicht öffnen durften. Ein junger Baron schlief vielmehr zusammen mit anderen jungen Männern in der großen Halle. Er war immer sichtbar und wusste nicht, was Individualismus bedeutete. Wer unter diesen Bedingungen aufwuchs, kam automatisch zu dem Schluss, dass sein Wert von seiner gesellschaftlichen Stellung und der Meinung anderer abhing.“6
Setzen wir eine Beschreibung Sartres des beginnenden Industriezeitalters als Kontrapunkt dagegen:
„Die Gesellschaft des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts beruht vollständig auf dem Komplex Eisen-Kohle. D.h. (…) die Kohle als Energiequelle bedingt selbst die Mittel, die diese Energie anwendbar machen (die Dampfmaschine) und, vermittels dieser neuen Werkzeuge, neue Methoden zur Eisenbearbeitung. Dadurch gelangt die Menschheit in den Besitz eines aufgespeicherten Energiepotentials, das von abgestorbenen Gewächsen herrührt; es ist, wenn man so will, ein Kapital, das andere Lebewesen ihr vererbt haben. Aber gleichzeitig verzehrt jeder Eigentümer sein Kapital: die Gruben sind nicht unerschöpflich. Dieses besondere Merkmal der Grube verleiht diesem ersten Moment des industriellen Kapitalismus, außer daß es die erste Industrialisierung begünstigt, einen gewaltsamen und fieberhaften Charakter: alle Ausbeutungsaktivitäten gründen sich auf die Ausbeutungsweise durch Arbeiter, das heißt, sie stehen unter dem Vorzeichen einer schnellen und brutalen Bereicherung, bevor die Rohstoffe erschöpft sind. Auf dieser Grundlage entstehen die Dampfverkehrsmittel, die Eisenbahn (direkt an die Gruben gebunden, weil die erste Funktion deren Bedienung ist), die Gasbeleuchtung usw. Innerhalb dieses Material- und Instrumentalkomplexes wird eine Arbeitsteilung erforderlich: Gruben und Fabriken schaffen sich ihre Kapitalisten, ihre Techniker und ihre Arbeiter. (…) das Ergebnis dieser sogenannten paleotechnischen Phase hat darin bestanden - das kann niemand leugnen -, daß die Strukturen der alten Gesellschaft teilweise beseitigt, bestimmte gesellschaftliche Gruppen proletarisiert und den beiden unmenschlichen Gewalten der physischen Erschöpfung und des Mangels unterworfen wurden. Infolgedessen sind neue Menschen entstanden, »Eisen-Kohle-Menschen«, Produkte der Grube und der neuen Verhüttungstechniken (...). Uns interessiert jedoch vom Gesichtspunkt der Intelligibilität aus, wie eine positive Tatsache - wie die großangelegte Nutzung der Kohle - in einer Gesellschaft an der Arbeit, die mit allen Mitteln ihren gesellschaftlichen Reichtum zu vergrößern versucht, die Quelle tieferer, gewaltsamer Spaltungen zwischen den Mitgliedern dieser Gesellschaft werden kann und wie die Forderungen des materiellen Komplexes, den die Menschen erben, die neuen Gruppen von Enteigneten, Ausgebeuteten und Unterernährten negativ bestimmen können“7Noch einmal Harari:
„Als Angehörige von modernen Industriegesellschaften besitzen wir im Laufe unseres Lebens Abermillionen von Gegenständen, angefangen von Milchtüten und Windeln bis zu Autos und Häusern. Es gibt kaum eine Tätigkeit, oder Glaubensvorstellung und sogar kaum ein Gefühl, für das wir keine Requisiten benötigen. Allein zum Essen brauchen wir eine verwirrende Anzahl von Gegenständen, und zwar nicht nur Teller und Löffel, sondern auch Genlabors oder Containerschiffe. Für unsere Freizeitbeschäftigungen habe wir eine unüberschaubare Vielfalt von Spielsachen erfunden, angefangen von Spielkarten bis hin zu Fußballstadien mit 100.000 Plätzen. Zu unserem Liebesleben gehören Ringe, Betten, modische Kleidung, Reizwäsche, Kondome, Abendessen bei Kerzenschein, billige Hotels, Partnervermittlungen, Hochzeitssäle und Catering-Unternehmen. Moderne Religionen vermitteln uns ihre Götter mithilfe von Kirchen, Moscheen, Aschrams, Torahrollen, Gebetsrädern, Priestergewändern, Kerzen, Weihrauch, Weihnachtsbäumen, Matzebällchen, Grabsteinen und Heiligenbildchen.“8
Die Revolutionäre von 1789 würden im zeitversetzten Auto die Konzepte ihrer eigenen Zeit in besonderer, sie möglicherweise beunruhigender Art zu Materie geworden wiederfinden, und es würde einen grundlegenden Unterschied machen, ob man ihnen den 5er BMW selbst überlassen hätte, oder ob man statt dessen nur die Bedienungsanleitung des 5er BMW in der Bibliothèque nationale de France in der Rue Vivienne in einem Regal versteckt hätte, was sicher auch schnell für Wirbel gesorgt hätte, aber für einen Wirbel völlig anderer Art. Was beweisen würde, dass der Gedanke des Praktisch-Inerten sinnvoll ist. Denn es macht 'wirklich' einen Unterschied, ob Gedanken in Form von Theorie zwischen zwei Buchdeckeln daherkommen, denen ihre dingliche Seite fehlt, oder mit der Trägheit des materiellen Gegenstands selbst. Allerdings dürfte auch klar sein, dass das Dasein des 5er BMW nicht ausreicht, um Anlass zum sofortigen Bau von Autobahnen oder Parkhäusern zu geben, denn die Sansculotten im Faubourg Saint-Antoine hatten gerade andere Probleme. Sie glaubten dem jungen Advokat Camille Desmoulins, der sie vor einer drohenden militärischen Überwältigung durch königstreue Truppen warnte und das Volk aufforderte, sich zu bewaffnen. Es kam zum spontanen Ausbruch von Gewalt. 40 von insgesamt 45 Zollhäusern wurden niedergerissen, Klöster geplündert; man suchte nach Getreide und nach Waffen. Getreide und Waffen waren die Dinge, die geeignet waren, die Not zu wenden, also die notwendigen Dinge. Statt Autobahnen zu bauen hätte man mit oder ohne 5er BMW die Bastille gestürmt. Die vermeintliche Armee draußen vor der Stadt, von der man gerüchteweise wusste, hatte angeblich Waffen und also brauchte man selbst auch Waffen. Diese Logik kam, so sieht das Sartre, insofern von den Dingen zu den Menschen. Man suchte also in der Abtei von Saint-Lazare nach Waffen, bei Waffenschmieden und eben auch in der Bastille, deren Gouverneur, Marquis de Launay, nach längeren Verhandlungen wirklich und nicht nur überlegungsweise auf die Menge schießen ließ.
Wird durch das Praktisch-Inerte der
freie Wille eingeschränkt oder ist er es nicht gerade, der das
entsprechende Verständnis der Situation erzeugt, indem er
Handlungen dem Aspekt materieller Notwendigkeit unterstellt? Immerhin
ist es eine Revolution, die hier gerade startet. Die Behauptung, dass
die Notwendigkeit durch die materiellen Ensemble, durch die Dinge zu
den Menschen kommt, ist nicht mehr und nicht weniger als eine
Rationalisierung, die nun aber nicht die Natur, sondern die
Geschichte betrifft. Wenn man, wie erwähnt, seit Thales und seit
Vorhersagen wie derjenigen der Sonnenfinsternis vom 585 den Kosmos
für hochgradig geordnet hält, für etwas rational
Verstehbares, wenn man also letztlich gegen Heraklit davon überzeugt
ist, eben doch zweimal im gleichen Fluss baden zu können, dann
fragt sich, ob sich die selbe Idee nicht auch auf das 'Reich der
Freiheit', auf das Menschengewimmel, den sozialen Raum und die
Geschichte übertragen lässt. Mit der Idee des
Praktisch-Inerten versucht Sartre offenbar genau das. Eine thetische
Rationalität erster Ordnung der Natur wird als eine Rationalität
zweiter Ordnung auf das Soziale und die Geschichte übertragen,
indem gedacht wird, dass die Notwendigkeit von den Dingen zu den
Menschen kommt. Das setzt voraus, dass der unbeweisbare erste
Schritt, die Vorstellung der Natur als Ordnung von jedermann als
Basisthese der Beweisbarkeit innerhalb der sozialen Kommunikation der
Menschen untereinander und der Organisation gemeinsamer Praxis
akzeptiert wird. Z.B. der Notwendigkeit der Sansculotten, die keinen
Widerspruch duldet, sich Waffen zu beschaffen.
Noch einmal:
Die Vorstellung, dass der Kosmos an sich geordnet ist, ist die
unbeweisbare Voraussetzung, ohne die kein empirischer Beweis
auskommt. Es reicht dabei völlig, das zu glauben. Es ist
keineswegs erforderlich und im übrigen unmöglich, es auch
zu beweisen. Würde man jedoch nicht grundsätzlich
davon ausgehen, dann wären ausnahmslos alle empirischen Beweise
unsinnig. Selbst wenn mit wunderbarer Regelmäßigkeit immer
wieder unter gleichen Bedingungen das gleiche gemessen würde,
würden sich daraus keine Zusammenhänge ergeben und also
auch keine Rationalität. Man hat versucht, dem Dilemma dadurch
zu entgehen, dass man die Basisthese der Ordnung der Natur für
verzichtbar erklärt und sich mit dem Netz von Mustern
wiederholbarer Messungen zufriedengibt. Mehr Sinn, heißt es,
brauche es nicht. Dies Netz werde zuverlässig größer,
solange der Wissenschaftsbetrieb andauert. Der Inbegriff der
Richtung, in die das ganze soll, wäre immer noch die
phantastische Vorstellung von der Natur als Ordnung.
Wenn sich
aber die menschlichen Praxen der so verstandenen Natur frei bedienen
würden, wäre es unmöglich, innerhalb von Praxen mit
Notwendigkeiten zu argumentieren. Es gibt nur ein Können und
kein Müssen. Praxen, sofern sie frei sind, würden
ihrerseits von der metaphysischen These der Ordnung der Natur und
mithin von Notwendigkeiten nie selbst betroffen. Betroffen von der
Ordnung der Natur wäre aber der Mensch als selbst ein
Naturwesen. So hat bekanntlich Kant im 18. Jahrhundert den Menschen
verstanden. Nun hat Kant allerdings die Freiheit zugleich als etwas
aufgefasst, das sich selbst allgemein verbindliche Gesetze gibt, und
daran glauben im 20. Jahrhundert kaum mehr Menschen, als an Gott
glauben. Wie also das Müssen im kollektiven Handeln verankern?
Sartre versucht das über den vitalistischen Begriff des
Organismus. Nur reicht der auch Sartre nicht aus, denn schließlich
geht es beim Menschen um Organismen, die nicht nur leben, sondern
denken und handeln, um eine komplette Metaphysik von Bedürftigkeit
und Not. Sartres Behauptung, dass sich alles aus dem Bedürfnis
erklärt, was das Verhältnis von Freiheit und materieller
Notwendigkeit angeht, ist so richtig und so falsch zugleich, als
hätte Marx behauptet, alle polit-ökonomische Praxis erkläre
sich aus dem Zwang zur Kapitalverwertung. Nun hat Marx allerdings
richtigerweise hinzugesetzt: für den Kapitalisten. Er hat also
die Grenzen seines principium cogniscendi struktural und
geschichtlich bestimmt. Der späte Sartre macht dagegen aus dem
Mangel, aus dem Hunger, der sich im Organismus meldet, eine
ursprüngliche Negation, eine Denkbestimmung. Er schaut dem Bauch
beim Denken zu, wie er aus sich selbst heraus Notwendigkeit entlässt.
Diese, wie Sartre sagen würde, „organische Totalisierung“,
der 'dialektische' Übergang vom Dasein ins Denken ist und bleibt
eine Metaphysik, selbst wenn es keinen anderen Weg gibt, das Knurren
zu beenden als durch Essen. Wenn ein Bauch sich vernehmen lässt,
ist das ein Knurren und kein Denken. Wenn die Notwendigkeit innerhalb
der menschlichen Praxis von der Materie zu den Menschen kommt, was
der Begriff des Praktisch-Inerten sagt, ist das nach wie vor eine
praktische Erfindung. Das erfundene Daran ist nicht der Hunger,
sondern die Notwendigkeit, dass er die Quelle ist, aus der die
Bestimmungen fließen.
Anmerkungen:
1 Der
Vollständigkeit halber: Sartre stellt vier Fragen, nicht nur
eine. „1. Wie kann die Praxis in sich selbst gleichzeitig eine
Erfahrung der Notwendigkeit und der Freiheit sein? 2. Wenn die
dialektische Rationalität eine Logik der Totalisierung ist, wie
kann sich dann die Geschichte, dieses Gewimmel individueller
Schicksale, als totalisierende Bewegung erweisen, und gerät man
nicht in jene eigentümliche Aporie, daß es zur
Totalisierung schon ein Einheitsprinzip geben muß oder wenn
man vorzieht, daß nur Totalitäten in Aktion sich
totalisieren können? 3. Wenn die Dialektik ein Verstehen der
Gegenwart durch die Vergangenheit und durch die Zukunft ist, wie
kann es dann eine historische Zukunft geben? 4. Wenn die Dialektik
materialistisch sein soll, wie haben wir dann die Materialität
der Praxis und ihr Verhältnis zu allen anderen Formen der
Materialität zu verstehen?“
Alle vier Fragen sind
Fragen nach einer materialistischen Erkenntnistheorie. Man könnte
meinen, dass sich die erste Frage bereits mit einem einzigen Satz
beantworten lässt. Antwort: Durch das Spannungsverhältnis
dessen, worauf sie abzielt zu dem, was sie vorfindet. Aber im Grunde
wiederholt das nur die Frage mit anderen Worten. Man wird zu fragen
haben: und worin besteht dies Spannungsverhältnis?
Auf die
zweite Frage nach einer Logik der Totalisierung lässt sich mit
Hegel antworten. Selbstverständlich benötigt jede
Totalisierung ein Prinzip, aber Hegel befürchtet da keineswegs,
in eine Aporie zu geraten.
„Der Anfang, das Prinzip, oder
das Absolute, wie es zuerst und unmittelbar ausgesprochen wird, ist
nur das Allgemeine. Sowenig, wenn ich sage: alle Tiere, dies Wort
für eine Zoologie gelten kann. (…) Die eigentliche
positive Ausführung des Anfangs ist zugleich umgekehrt
ebensosehr ein negatives Verhalten gegen ihn, nämlich gegen
seine einseitige Form, erst unmittelbar oder Zweck zu sein. Sie kann
somit ebensosehr als die Widerlegung desjenigen genommen werden, was
den Grund des Systems ausmacht, besser aber als ein Aufzeigen, daß
der Grund oder das Prinzip des Systems in der Tat nur sein Anfang
ist.“
Für Hegel bedeutet es also keine Aporie, dass
die Totalisierung ein Prinzip braucht. Es geht vielmehr darum, das
Prinzip als System zu konkretisieren. Aus etwas relativ Unwahrem
wird etwas zunehmend Wahres. Aber diese Entwicklung führt für
Hegel nie in eine Sackgasse, nie an einen Punkt, an dem man erkennen
müsste, dass das Anfangsprinzip selbst unsinnig war und man mit
einem völlig anderen von vorne beginnen muss. Hegel ist in
dieser Hinsicht Optimist. Wenn etwas diesen Optimismus 'apriori'
rechtfertigen soll, was anders sollte das sein als eine Metaphysik?
Wenn Sartre nun Hegels Idealismus ablehnt und ihn durch eine
materialistische Perspektive ersetzen will, aber bei Hegels
Optimismus bleibt, betreibt er materialistische Metaphysik oder
transzendentalen Materialismus.
Sartres dritte Frage „Wenn
die Dialektik ein Verstehen der Gegenwart durch die Vergangenheit
und durch die Zukunft ist, wie kann es dann eine historische Zukunft
geben?“ übersetzt sich mir in etwa folgendermaßen:
Was führt von einem gemeinsamen Selbstverständnis zur
gemeinsamen Praxis und diese zu einem bestimmten historischen
Ergebnis? Bei der Frage ist mir unklar, wie eine sinnvolle
'apriorische' Antwort darauf aussehen sollte, außer der ganz
generellen, dass Menschen eben faktisch immer zusammenarbeiten und
dabei eben immer historische Zukunft entsteht. Ohne Empirie bleibt
diese Antwort im schlechten Sinn prinzipiell.
Sartre wandelt mit
seiner Fragestellung auf den Spuren Hegels, den er mit seiner 4.
Frage gleichsam materialistisch aufbohrt. (CRD, S.83)
2 CRD, S.130
3 Ebd.
4 Jean-Paul Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Reinbek 1976, S. 84
5 Vgl. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/Flaechennutzung/Tabellen/Bodenflaeche_Insgesamt.html;jsessionid=B1366DA128C7599B5F562480BE9ED0D2.InternetLive2
6 Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, München 2013, 6. Kapitel
7 Jean-Paul Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Reinbek 1976, S. 163 ff.
8 Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, München 2013, 3. Kapitel
9 Warum gerade dorthin? Weil sich Sartre in der Kritik der dialektischen Vernunft mit Vorliebe dorthin begibt.
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